Schweizer Präzision und latinische Freude

Gespräch mit Alfredo Häberli, Gestalter und bekennender Zürcher, in ‚seinem‘ Zürcher Hotel 25h.

Alfredo Häberli ist buchstäblich in seinem Element, entspannt über eine Tasse Kaffee in einem von ihm entworfenen Hotel mitten im angesagten Kreis 5. Das Hotel verkörpert Zürich durch und durch. Und Häberli verkörpert regelrecht Zürich: „Ich liebe diese Stadt, sie hat genau das, was ich gerne mag“, sagt Alfredo Häberli bekennend. „Ihre Naturverbundenheit, hier See, da Wald, man ist in zehn Minuten am Waldrand; gleichzeitig hat die Stadt einen Super-Mix aus Partys, Underground ... ich glaube, das kommt jetzt erst langsam durch, dass Zürich eine spannende, interessante Stadt ist. New York und Paris, das kennt man, aber Zürich kommt nun relativ schnell.“

Alfredo Häberli

(*1964 in Buenos Aires, Argentinien) hat Schweizer Vorfahren. Sein Urgroßvater war von dort ausgewandert, um für das Unternehmen Bally eine Schuhfabrik aufzubauen. Die Großeltern betrieben ein Hotel, die Eltern ein Restaurant. 1977 kehrte die Familie nach Zürich zurück 1991 absolvierte er sein Studium in Industriedesign an der Höheren Schule für Gestaltung und erhielt für sein Diplom den Förderpreis. Häberli arbeitet für Marken wie BMW, Camper, Georg Jensen, FSB, Iittala, Kvadrat, Luceplan, Moroso, Quodes, Ruckstuhl und Vitra.

Alfredo Häberli liebt die Entwürfe von Hans J. Wegner:

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Interview

QVEST: Und wie kam das plötzlich?
Häberli: Zürich hat sich über die ganze Kunst- und Galerienszene entwickelt, neue Viertel wie hier der Kreis 5 sind entstanden, viele Leute aus dem Ausland kommen geschäftlich, nicht nur Banken. Und gleichzeitig ist Zürich eine Stadt, die Sicherheit und Luxus bieten kann. Zürich hat einen guten Mix aus Fun und Seriosität, das Kulturangebot ist überragend, ob Theater, Kunst oder auch Restaurants. Ich mag die Schweiz allgemein, weil es eine gewisse Anonymität und Respekt gibt – niemand kommt einfach zu Dir hin und belästigt Dich. Privatsphäre zu respektieren wird sehr hoch geschätzt, weswegen ein Boris Becker oder Roger Federer sich hier frei bewegen können, ohne belästigt zu werden. Das muss man sagen, das ist einfach eine schöne Geschichte.

Was unterscheidet denn Ihr 25h von anderen Hotels?
Was haben Sie hier verwirklicht? Es ist das größte Projekt, das ich bisher verwirklicht habe: sechs Stockwerke und 160 Zimmer, für die ich etwa 80 neue Produkte entworfen habe, vom Türdrücker bis hin zu Malereien und Vorhängen. Eigentlich mag ich diesen Zirkus nicht, ein Hotel ganz unter ein Motto zu stellen, aber bei mir ist das grundlegende Thema dann doch Zürich geworden; das kann man überall sehen, zum Beispiel hier hinter uns (zeigt auf den Wandspiegel mit grünen Elementen), das sind die fünf Inseln, dadurch wird der Spiegel zum Zürichsee mit seiner Bananenform – oder die Zürcher Kirchen da vorne, alle selbst gemalt und geschliffen. Überall entdeckt man dreidimensionale Hinweise auf Zürich, eine Art 3-DCityguide. An der Rezeption bekommen Sie auch eine Liste ausgehändigt mit allen versteckten Details. Ein Sprichwort sagt, in Zürich findet man das Geld auf dem Boden, daher sind dort stilisierte Münzen eingelassen ...

... ich muss zugeben, ich habe mich bei der Ankunft danach gebückt. Was ist denn das typisch Schweizerische in Ihrem Design?
Präzision und Poesie. Wobei, das Präzise ist das Schweizerische, indem ich versuche, etwas Neues zu entdecken, sicher sehr geprägt von meiner Ausbildung als auch von meiner Haltung: Was können wir anders machen, um auf dem Markt zu bestehen, wir haben schließlich keinen Meeranschluss, konnten nicht direkt einen Handel auftreiben; man musste sich in Zürich alles erarbeiten. Wenn man einen Hocker sieht wie hier (deutet auf einen seiner Hotelhocker), dann sieht man die Präzision, aber der Spaß daran ist das Versteck für die Zeitung, das latinische Element, die Poesie, das Nicht- Begründete ...

Was für ein Element war das gleich nochmal?
Mein latinischer Anteil, alles Spielerische und Irrationale. Ich musste beim ‚25h’ zum Glück nicht begründen, warum diese Design-Neonröhre jetzt rot leuchtet und nicht gelb, da ist ohnehin keine tiefere Bedeutung dahinter; ich nenne es Poesie. Wenn ich ein Poem lese, muss ich es ja auch nicht verstehen, das ist wie ein Lied oder Musikstück, das ein Gefühl oder besondere Momente vermitteln soll.

Dekoration und Kommunikation stehen aber doch komplett im Kontrast zu Zürcher Tugenden wie Ordnung, Fleiß, Disziplin?
Ich sage, ja, das ist nicht schweizerisch, das ist ja nur die eine meiner beiden Seiten, das Latinische, Farbenfrohe, Spielerische geht auf meine argentinischen Wurzeln zurück. Ich habe Spa. an den Dingen, die ich mache, aber sie sind auch extrem funktionell. Deshalb muss nicht alles geradlinig und chromfarben, grau oder schwarz sein. In der Ausbildung kam die Formel ‚forms follows function’ noch ganz tradiert herüber, über Skulpturhaftes wie in Italien, dass ein Stuhl auch gestapelt oder in sich verändert werden konnte, wurde nicht gesprochen. Aber es sieht gut aus, oder (lacht)?! Das Begründende brauche ich nicht mehr.

Zürich hat immerhin Max Bill oder auch Max Frisch, den Architekten des Freibades Letzigraben im typischen Landistil (einem naturnahen Baustil, der nach einer Landesgartenschau entstand, Anm. d. Red.) hervorgebracht ...
Da bin ich wohl etwas ausgebrochen. Aber auch Max Bill hat schon über die sch.ne Form gesprochen und das nicht explizit begründet. Ein Le Corbusier hat auch immer plastischer gearbeitet, je älter er wurde. Ich glaube, man muss einfach genau hinschauen.

»Ich würde wahnsinnig gerne die Zürcher Sitzbank entwickeln.«

Welches sind die Orte in Zürich, die Sie am stärksten inspirieren?
Das Heidi Weber-Haus von Le Corbusier, nur ein paar hundert Meter von meinem Studio entfernt, und neben dem Max Frisch-Freibad das Badi in Tiefenbrunn; überhaupt, jedes Zürcher Badi besitzt seinen eigenen Reiz. Sehr schön finde ich auch den Botanischen Garten, eine Oase und immer gut, wenn man Zürich mal anders erleben will. Oder neue Sachen wie das Löwenbräu-Areal, traumhaft.

Ihre Lieblingsbar?
Die Bar in der Kronenhalle ist natürlich auch speziell, mit Tisch- und Lampendesign von Diego Giacometti: seit den Fünfziger Jahren unverändert und der einzige Ort in Zürich, an dem keine Musik läuft, traumhaft.

Ihr Lieblingsrestaurant?
Das ‚Epicure’ im Dolder Grand mit dem Chef Heiko Nieder. Sagen Sie einen Gruß in die Küche von Alfredo Häberli, dann sehen Sie schon, was passiert!

Das Zürcher Lieblingsgeschäft?
H. Schwarzenbach Kolonialwarenladen im Niederdorf, mit Gewürzen, Tees, Schokolade, sagenhaft.

Zürcher Lieblingsorte?
Viele Arbeiten der Fünfziger und Sechziger Jahre, als man ganz leicht mit Beton begann, wie etwa die Tramhaltestelle am Bellevue-Platz von Robert Maillart - einfach stylish!

Wenn Sie Zürich designen könnten, wie sähe die Stadt aus?
Ich würde wahrscheinlich versuchen, noch mehr Plätze und Flächen ohne Funktion zu schaffen; wie etwa Bellevue, was früher ein Riesenparkplatz war und heute ein freier Platz auf Tiefgaragen ist. Oben befinden sich eine Fontäne, Steinfläche und Stühle. Und es ist so interessant zu sehen, wie junge Leute das Areal nutzen, mittags herauskommen und dort ihren Platz finden. Weiter vorne gibt es noch die Landiwiese, die keine Funktion hat und deshalb den Menschen einen frei zugänglichen Ort bietet. Ich würde wahnsinnig gern die Zürcher Sitzbank entwickeln, bzw. über das Sitzen im öffentlichen Raum nachdenken. Das würde ich Zürich gerne schenken.

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