Zu Besuch in der Pariser Sattlerei Hermès

Sattlerwesen und gehobene Verarbeitung bilden den Ursprung des Pariser Familienunternehmens Hermès. Heute gehören auch Lederwaren über Schals, Krawatten und den berühmten Seidenschals (Hermès Carré) sowie Prêt-à-Porter, Parfums, Schuhe, Schmuck oder Inneneinrichtung zum Portfolio des Hauses.

Hermès

Hermès wurde 1837 vom Sattler Thierry Hermès gegründet, der zunächst Pferdegeschirr und Zaumzeug herstellte. Als die industrielle Entwicklung mit Automobil und Eisenbahn Fahrt aufnahm, erweiterte Hermès’ Sohn Charles-Émile das Sortiment um Leder-Reisekoffer und -taschen. Dessen Sohn führte ab 1920 auch Handtaschen ein. Die hochwertige Verarbeitung der Hermès-Produkte sprach sich bald in ganz Europa herum. Mit Robert Dumas-Hermès, dem hochkreativen Schwiegersohn von Émile-Maurice, erfuhr das Unternehmen ab 1951 einen weiteren Popularitäts-Schub. Hermès-Klassiker wie Krawatten, Schmuckstücke, Accessoires und vor allem Taschen entstanden in seiner Ära. Jean-Louis Dumas entwickelte und förderte  in den Siebziger Jahren die Sektoren Seide, Leder und Prêt-à-porter und ergänzt das traditionelle Handwerk durch neue Techniken und Produkte.

Die Rue Faubourg Saint-Honoré ist eine der ältesten Straßen von Paris, und gilt als eine der bedeutendsten Einkaufsmeilen der Welt. Viele mit ihren Baldachinen oft wie alte Kolonialwarenläden wirkende Geschäfte vermitteln einen lieblichen Eindruck, selbst wenn sie jetzt große Markennamen aus Luxus und Haute Couture beherbergen. Dazu gehört auch das Haus Hermès – allerdings nicht eine Dépendance, sondern das Stammhaus mit seinen berühmten Schaufenstern, die teilweise originelle Produkte und Fantasiewelten präsentieren, die nicht selten Stadtgespräch sind. Und entgegen einem häufigen Missverständnis hat Hermès nichts mit Haute Couture zu tun: Das Haus folgt einer ganz eigenen Logik, deren Geheimnis sich im dritten Geschoss des Stammhauses verbirgt. Das sprichwörtliche ‚Aushängeschild‘ von Hermès findet sich in der Seitenstraße der Rue, Faubourg, der Rue Boissy d'Anglas: ‚Sellerie‘ steht darauf (zu deutsch ‚Sattlerei‘), daneben führt eine Einfahrt zum Hintereingang, wo sich der Eingang für Lieferanten, Mitarbeiter und Besucher befindet. In den Büros und Werkstätten von Hermès, geht es genau so alltäglich und leger zu wie im Hinterbereich von Kaufhäusern – mit Kaffeeautomaten, Aufenthaltsraum und einer Menge Kleiderstangen, nur eben mit mehr Zeit und Liebe zum Detail.

Kelly Bag und Birkin Bag

Die ‚Kelly-Bag‘ wurde in den Dreißiger Jahren von Robert Dumas konzipiert, als zunächst mäßig erfolgreiche kleinere Version der Herren-Reisetasche. Erst als Fürstin Gracia Patricia von Monaco, die ehemalige Grace Kelly sie 1956 auf einem Cover des amerikanischen ‚Life‘-Magazins trug, wurde die Tasche zur ‚Kelly-Bag‘, eines der am meisten verkauften Modelle bei Hermès. Daran an knüpfte die ‚Birkin-Bag‘, nachdem die Namensgeberin Jane Birkin ihrem Sitznachbarn Jean-Louis Dumas im Flugzeug erklärte, dass die Kelly-Bag für moderne Frauen wie sie zu unpraktisch sei.

Um Ursprung und Werte von Hermès zu verstehen, muss man in die Sattlerei vordringen, wo es wie eh und je nach gegerbtem Rohleder, Wachs und Leim riecht. Hier scheint seit 1837 die Zeit stehen geblieben zu sein, dem Jahr, in dem der gebürtige Krefelder Thierry Hermès begann, Sättel und Zaumzeug herzustellen. Damals war das nichts Außergewöhnliches, im Prinzip war Hermès damit Zulieferer der Verkehrsindustrie, die sich vornehmlich zu Pferde fortbewegte. Die Rue Faubourg hallte Tag und Nacht wider von Pferdegetrappel, schweren Kutschrädern auf Kopfsteinpflaster und dem Knallen der Peitschen. Wer es sich leisten konnte und etwas auf sich hielt, unterhielt mehrere Kutschen, die Zügel, Trensen und Sattelgurte für die Pferde brauchten. Bilder von ausbrechenden Tieren auf der Straße, die von Kutscherflüchen begeleitet werden, evozieren einen Proustschen Moment, in dem, begleitet vom Geruch eines Handwerksbetriebs, eine verlorene Zeit wieder auflebt. Auf diesen wenigen Quadratmetern im dritten Stock aber geht es ans Handgemachte, als seien die Zeiten nie andere gewesen. Denn Sättel von Hermès sind nach wie vor gefragt, sowohl bei Springreitern als auch vermögenden Pferdebesitzern. Eine Standardausführung kostet jedoch nach wie vor um die 4.500 Euro.

Aus dem Hermès-Archiv: Die Adnet Spiegel

In den 1950er Jahren beauftragte Hermès den französischen Gestalter Jacques Adnet mit dem Entwurf verschiedener Lederspiegel. Adnet fasste die Spiegel in tiefe Rahmen, die mit dem feinen Sattelleder von Hermès verkleidet waren. Der dänische Hersteller Gubi hat die seltenen Modelle aus dem Hause Hermès erst im 21. Jahrhundert wiederentdeckt und führt die Entwürfe Adnets heute als autorisierte Neuauflage.

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Hermès fertigt Sattel nach Maß – allerdings erst einmal nicht nach dem Maß des Reiters, sondern des Tieres. „Das größte Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“, lautet eine alte Reiterweisheit, die man auch im Hermès-Universum anders verstehen könnte. Um Ross und Reiter zu nennen: „Der erste Kunde ist das Pferd“, wird man von den Sattlern aufgeklärt. Denn bevor der Allerwerteste des Bereiters fest im Sattel sitzt, wird der Pferderücken vermessen, das Leder vom dem hauseigenen Lieferanten nahe Paris bezogen, und nach den ermittelten Daten wird der echte Hermès-Standardsattel vom Zuschneiden über das Aufnähen bis hin zur finalen Ölpolitur in Angriff genommen. Standard-Sattel sind nach 24 Stunden Arbeitszeit einsatzbereit. Dazu wird die Grundlage, der Sattelbaum, mit einer zwei Zentimeter dicken Latexschicht gepolstert und mit dem Leder überzogen, anschließend die Sattelblätter genäht und mit dem Sattelkissen zusammenfügt: eine Sternstunde dieser Handwerkskunst, denn der ‚doppelte Sattlerstich‘ ist ein typisches Merkmal von Hermès und daher auch oft im typischen Hermès-Orange, mit einem in Bienenwachs getauchten Faden ausgeführt. Einen Stock tiefer entstehen parallel die Leder für die Steigbügel und den Bauchgurt, die natürlich auch am Sattel hängen, Knielaschen und Polster - der feierliche Abschluss nach 40 Stunden Fertigung eines Maßsattels!

Hermès Carré

Die berühmten handbedruckten Seidentücher gibt es seit 1937, und ihre Motive referieren auf den Reitsport, oder stellen ein Jahresthema dar. Auch Künstler, Grafittisprayer, Gärtner und viele andere Kreative haben bis heute Carrés gestaltet. Pro Jahr entstehen ein Dutzend neuer Tücher, mittlerweile gibt es annähernd 1000 verschiedene Hermès Carrés.

Die Kundschaft der Sattlerei ist international. Seit über 100 Jahren wird für den Fall der Sattelrenovierung oder eines Neukaufs Buch geführt wie anno dazumal. Auch wenn man bei Hermès selbstverständlich über die Klientel schweigt, so ist bekannt, dass sich einige renommierte Besteller darunter befinden, wie zum Beispiel Zarenfamilien, Olympiasieger, Spring- und Dressurreiter sowie Polospieler. Im Prinzip auch Laurent Goblet, der früher einmal Jockey war und heute das Mastermind der Sattlerei von Hermès ist. Für Hermès entwickelte er einen Sattel mit neuen Grundmaterialien als Alternative zu Holz, die leichter und flexibler sind, fürs Pferd wie auch für den Reiter. Goblet kann auch ganz einfach erklären, wo der Zusammenhang zwischen dem liegt, was sich in seinem Atelier abspielt und in dem Verkaufsraum im Erdgeschoss: „Die Hermès-Handtasche war zum Beispiel eine natürliche Entwicklung aus dem Sattel heraus, sie wird mit der gleichen Technik entwickelt.“ In der Tat entstand sie sogar unmittelbar aus der Entwicklung der Hermès-Satteltasche heraus, die früher für den Transport unentbehrlich war. Der Ursprung der meisten Hermès-Textilien erschließt sich ebenfalls aus der Historie, in der Jockeys und andere Reitsportarten spezielle Trageweisen erforderten, die sowohl den Bewegungsabläufen, der Bequemlichkeit als auch Wind und Wetter gerecht werden mussten.

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