Fleischlose Begierde
Das 1898 gegründete Zürcher Haus Hiltl ist das älteste vegetarische Restaurant der Welt. Der heute 51-jährige Urenkel des Gründers, Rolf Hiltl, ist einer dieser Menschen, die heute jünger aussehen als auf zwanzig Jahre alten Fotos. Ähnlich jung zeigt sich das Unternehmen, das eine feste Zürcher Institution ist.
interview: PATRICK KRAUSE, portrait: ETHAN OELMAN
Rolf Hiltl
Zum 100. Jubiläum im Jahr 1998 übergab Heinz Hiltl die Nachfolge des lange ‚Vegi’ genannten Haus Hiltl an seinen Sohn Rolf. Die Familie Hiltl ist zu 50 Prozent an der vegetarischen Fast-Food-Kette ‚tibits’ beteiligt, welche im Jahr 2000 zusammen mit den Gebrüdern Frei gegründet wurde und Restaurants in mehreren Schweizer Städten und in London betreibt. Heute beschäftigt die Hiltl AG unter der Führung von Rolf Hiltl rund 250 Mitarbeiter aus über 60 Nationen und unterhält seit 2013 die erste vegetarische Metzgerei (schw. ‚Vegi-Metzg’) der Schweiz.
Interview
QVEST: Herr Hiltl, wie verpflichtend sind Tradition und Erfolg? Sind Sie einfach in die Fußstapfen Ihrer Ahnen gestiegen?
Hiltl: Nein, was ich tun will, wusste ich schon, als ich fünf Jahre alt war. Da stand ich im Büro von meinem Vater, hier im Haus. Als er mich fragte, was ich einmal werden wolle, da habe ich offenbar auf seinen Stuhl gezeigt.
Wie kam Zürich darauf, vegetarisch zu werden?
Mein Urgroßvater kam als Schneidergeselle aus Bayern und hat in Zürich Arbeit gesucht, als ihn die Gicht befiel - vermutlich, weil er in Bayern zu viel Schweinshaxen und Bier zu sich genommen hat. Ein Arzt hat ihm dringend geraten, sich vegetarisch zu ernähren, weil er sonst nicht mehr lange leben würde. Da war er gerade mal zwanzig Jahre alt. Darauf hin aß er drei Monate lang im hier gegründeten ‚Vegetarierheim und Abstinenz-Café’, wie es damals hieß, dann war die Gicht verschwunden. Dadurch wurde er überzeugter Vegetarier und 96 Jahre alt. Weil das Lokal im Jahre 1898 tiefrote Zahlen schrieb, hat man ihn gefragt, ob er das Restaurant übernehmen möchte. Mein Urgroßvater hatte aber als Schneider keine Ahnung von Gastronomie, und als Stammgast hat er sich dann in die damalige Küchenchefin Martha Gneupel verliebt. Zusammen übernahmen sie den Betrieb und haben ihm den Namen ‚Hiltl’ gegeben. Aber der Grund, warum es uns immer noch gibt, liegt traditionell in der Innovation. Wir entwickeln uns ständig weiter und sind heute beispielsweise auch sehr aktiv auf den Social-Media-Kanälen.
Vegetarische Restaurants gab es sicher auch woanders, aber warum hat sich ausgerechnet in Zürich vegetarische Küche durchgesetzt?
Das hat sicher auch mit unserer Geschichte zu tun, und da gibt es natürlich noch den Dr. Bircher-Benner vom Müsli, die kannten sich auch vom Verein für Volksgesundheit damals. Bircher-Benner hat diesen Lebensstil geprägt, das ist mitunter ein Grund, dass Zürich eine Keimzelle war. Wir haben natürlich sehr viel für unseren Erfolg getan, immer nach unserem Motto ‚Gesunder Genuss’ gehandelt. Wir wollen die Leute überzeugen durch gute Produkte, freundlichen Service und unser attraktives Ambiente – also eben nicht mit erhobenem Zeigefinger wie die Moralapostel rüberkommen. So waren wir noch nie, wir haben unser Geschäft immer lustvoll betrieben. Vielleicht waren wir ganz am Anfang noch so ein bisschen die ‚Körnerpicker’, aber jede Generation hat Hiltl nach dem Zeitgeist umgestaltet und dem Unternehmen ein zeitgemäßes Gesicht verliehen.
Vegan ist ja gerade schwer im Trend, war es aber vor einigen Jahren noch nicht ...
Wir haben auch sehr viele Produkte, die wir ‚veganisieren’, wie wir das nennen. Denn wir merken auch bei unseren Gästen, dass vegan immer gefragter wird. Wenn gute Speisen vegetarisch sind, die wir auch vegan herstellen können, dann machen wir das, ohne dass wir etwas ‚faken’ müssten. Junge Leute werden oft auf ganz natürliche Weise Veganer; weil sie die Tiere als unsere Mitgeschöpfe mögen und nicht essen wollen. Das sehen wir auch bei unseren Club-Partys, im Rahmen derer wir seit 2015 in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Tierschutz als erster Club der Schweiz pelzfrei sind. In aufgeklärten Gesellschaften ist vegan nachhaltig, kein kurzfristiger Trend.
Vom ‚Wurzelbunker’ zum weit verzweigten Unternehmen
Der gebürtige Bayer Ambrosius Hiltl übernahm 1898 das von deutschen Einwanderern gegründete ‚Vegetarierheim und Abstinenz-Café’, das sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand - auch aus Imagegründen: Manche der Gäste, in Zürich ‚Grasfresser’ genannt, trauten sich nur durch die Hintertür in den Zürcher ‚Wurzelbunker’.
Schon 1931 war Hiltl das erste Zürcher Restaurant mit vollautomatischer Küche. 1951 fand das Restaurant besonderen Anklang, als der indische Premierminister als Gast kam; Hiltls Schwiegertochter Margrith nahm als Schweizer Delegierte am Welt-Vegetarierkongress in Neu-Delhi teil und kam mit zahlreichen indischen Rezepten und Gewürzen zurück, die den Weg auf die Menukarten und fanden den internationalen Ruf des Hauses festigten.
Bereits damals auf Flügen der Swissair nach Indien und heute auf interkontinentalen Flügen der Swiss International Airline ab der Schweiz kreiert Hiltl die vegetarischen und veganen Gerichte.
www.hiltl.ch
www.tibits.ch
www.shop.hiltl.ch
Ist das ‚Zürcher Geschnetzeltes’ bei Hiltl denn ein Fake, das nur aussieht wie Geschnetzeltes?
Keineswegs, unser Geschnetzeltes sieht aus wie Geschnetzeltes und schmeckt auch so wie Zürcher Geschnetzeltes, mit Rösti, frischen Champignons und Seitan an einer feinen, veganen Rahmsauce. Da vermissen auch die Karnivoren das Fleisch nicht. Vegetarische oder vegane Küche bietet eine unglaubliche Vielfalt, insbesondere natürlich mit frischen Gemüsen, Salaten und Früchten.
Und warum fahren die Zürcher so darauf ab?
Zürich hat schon einen gewissen Lebensstandard, eine gewisse Erwartungshaltung, das hat sicher auch damit zu tun. Zürcher schätzen Qualität, und wenn man schon alles erlebt hat, merkt man vielleicht auch, dass Fleisch gar nicht unbedingt nötig ist für ein genussvolles Essen.
Sind Sie selbst hundertprozentiger Vegetarier?
Teilzeit-Vegetarier, ab und zu esse ich ein Stück Fleisch oder einen frisch gefangenen Fisch. Allerdings immer seltener.
»Viele Leute kommen herein und merken gar nicht, dass wir ein ‚vegetarisches Restaurant’ sind.«
Existiert in der Schweiz auch eine Art Haute Cuisine?
Die Schweiz ist nicht eine ‚Food Nation’ wie zum Beispiel Italien oder Frankreich, aber ich denke, wir haben eine sehr solide Ausbildung im Bereich Küche und ausgezeichnete Betriebe aufgrund unserer touristischen Tradition.
Quirlige Selbstbedienungs-Restaurants wie bei Globus, Jelmoli, Tibits oder eben Hiltl scheinen ja in Zürich sehr in Mode zu sein ...
Ich denke, unser Prinzip ‚Buffet nach Gewicht’ kommt sehr gut an, weil die Gäste sich frei fühlen und tun und essen können, was sie möchten.
Die lockere Party-Atmo hat ja auch einen sehr geselligen Aspekt, spielt der für Zürcher eine Rolle?
Die Leute gehen in der Tat sehr gerne aus und sind einfach gerne draußen, unter Leuten. Aber auch die traditionelle Schiene wie im ‚Storchen’ oder der ‚Kronenhalle’ hat in Zürich ihren festen Platz.
Wollen Sie als Marke international werden ...
Mit Hiltl sind wir im Großraum Zürich mit sieben Restaurants vertreten, mit unserem Partnerbetrieb ‚Tibits’ in verschiedenen Städten der Schweiz und in London. International wird sich also ‚Tibits’ weiterverbreiten. Ich habe noch so eine Vision für ein ‚Hiltl Flagship’ in New York. Vielleicht wird dieser Traum eines Tages Realität, eventuell auch durch eines unserer drei Kinder.
... auch, um die vegetarische ‚Message’ weiter zu tragen?
Ja, denn wir finden es sinnvoll, wenn die Menschen ein feines Essen genießen können, ohne dass dabei Tiere getötet werden. In erster Linie geht es uns aber darum, unsere Gäste zu begeistern, und dann aber auch zu überzeugen, dass Fleisch nicht zum Lebensgenuss dazugehören muss. Viele Gäste kommen ja auch bei uns herein und wissen gar nicht, dass wir ein ‚vegetarisches Restaurant’ sind, sie genießen es aber genauso.
Züri Geschnetzeltes (Vegan):
für 4 Personen:
- 400 gr Champignons
- 1 Zwiebel
- 500 gr Seitan
- 3 EL Olivenöl
- 2 dl Rotweinsauce
- 3 dl vegane Saucencrème
- Salz, Pfeffer aus der Mühle
- 1 Zitrone, Saft
- 2 Zweige Petersilie
Die Champignons putzen und blättrig schneiden. Die Zwiebel schälen und fein hacken. Das Seitan in sehr dünne Streifen schneiden oder hobeln.
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Zwei Esslöffel Olivenöl in einer Bratpfanne erhitzen und die Seitanstreifen darin kräftig anbraten, in eine Schüssel geben und beiseite stellen. Das übrige Öl in die Pfanne geben und die gehackten Zwiebeln darin bei mittlerer Hitze anbraten. Dann die Pilze beifügen und mitbraten.
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Mit Weißwein und Cognac ablöschen, unter Rühren einkochen lassen. Die Rotweinsauce und vegane Saucencrème dazugeben und einkochen.
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Zum Schluss das angebratene Seitan dazugeben, mit Salz, Pfeffer und dem Zitronensaft abschmecken. Die Petersilie fein hacken unddarüberstreuen. Wir servieren dazu unsere beliebte Rösti.